Vielfalt macht unsere Gesellschaft erst so richtig bunt und lebendig. Aber sie bereichert auch den Arbeitsalltag auf unglaubliche Art und Weise. Wie sehr Unternehmen von Diversität profitieren, wurde in der „Paneldiskussion Neurodiversity“ am 14. April 2022 in Wien deutlich. Die Zuseher*innen des Livestreams erfuhren, wie bereichernd Jobs für Autisten und Autistinnen sein können. Sowohl für die Arbeitnehmer- als auch für die Arbeitgeberseite.

Was ist Neurodiversität?

Das Konzept der Diversität begreift die Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Menschen als etwas Gewinnbringendes und Konstruktives. Niemand darf aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung oder anderer Merkmale benachteiligt oder gar ausgegrenzt werden. Während das Konzept der Diversität seine ursprünglichen Wurzeln in der Bürgerrechtsbewegung der USA hatte, umfasst es heute ein wesentlich weiteres Spektrum. Dazu gehört auch die Neurodiversität, welche unter anderem Autismus, AD(H)S, Legasthenie, Dyspraxie oder Dyskalkulie als eine natürliche Form menschlicher Diversität begreift.

Die Angst vor dem berühmten Fettnäpfchen

Zu den Teilnehmeri*innen der Paneldiskussion zählte unter anderem Jonas Krämer, Sprecher von Specialisterne. Die Organisation macht sich für mehr Jobs für Autisten und Autistinnen stark. Aus seiner persönlichen Erfahrung weiß Jonas: „Der größte Fehler, den man machen kann, ist, von einer autistischen Person auf alle zu schließen.“ Klar gibt es Fettnäpfchen, in die man treten kann. Komplett falsch wäre es aus Sicht von Jonas aber, aus Angst vor etwaigen Fettnäpfchen Autist*innen einfach aus dem Weg zu gehen. Katrin Terwiel ist nicht nur VP Diversity & Talent bei der Deutschen Telekom, sondern auch ausgebildete Psychotherapeutin. Sie sieht Fettnäpfchen sogar als Chance, um voneinander zu lernen: „Nicht jede und jeder hat ein Vokabeltraining gemacht in den neuesten politisch korrekten Wörtern oder hat Psychologie studiert und sich mit den Hirnstrukturen auseinandergesetzt. Ich glaube, wenn wir eine bessere Welt erreichen wollen, dann ist es auch total wichtig, dass man in Fettnäpfchen treten darf und dann darauf hingewiesen wird.“

Ehrlicher Dialog: Der Erfolgsfaktor in der Zusammenarbeit mit Autist*innen

Die wichtigste Regel in der Zusammenarbeit mit Autist*innen ist denkbar einfach, meint Jonas: „Störungen haben Vorrang. Und alles, was nicht passt, wird passend gemacht. Das ist eine inklusive Haltung.“ Und weiter: „Es bedeutet, in den Dialog zu gehen und es bedeutet nachzufragen: ‚Hey, was passt denn für dich gut? Und wenn irgendwas hier drin passiert von der Formulierung oder von der Vorgehensweise her, bitte gib uns einen Hinweis. Weil dann können wir es ändern.“

Erfahrungen in der Arbeit mit Autist*innen

Michael Aigner ist bei Magenta als Senior Manager für Billing & Charging zuständig. Er erzählt von der Zusammenarbeit mit zwei Autistinnen in seinem Team: „Beide arbeiten bei uns in der Bearbeitung von Rechnungseinsprüchen. Das erfordert tiefgreifende Analysefähigkeiten. Heute sind sie absolute Stützen im Team und haben eine unwidersprochene Top-Kompetenz bei Problemanalysen.“ Dennoch brauche es einen einfühlsamen und sensiblen Umgang miteinander, meint Michael: „Soziale Interaktion ist nicht das Lieblingsspielfeld für Autist*innen. Es gibt Veränderungen, die teilweise als Chaos wahrgenommen werden, oder Lärm und fremde Menschen, oder Desk-Sharing – die Liste ist mannigfaltig. Also, da gibt es schon ein Potenzial an Stress, mit dem man sich beschäftigen muss.“

Stabilität, Struktur und klare Aufgaben als Erfolgsfaktoren

Dennoch: Mit ein paar einfachen Maßnahmen lassen sich anfängliche Herausforderungen schnell lösen: „Geholfen haben uns ein stabiler Umgang miteinander und stabile Ansprechpersonen“, sagt Michael in der Paneldiskussion und ergänzt: „Ich denke, wir haben es ganz gut geschafft, klare Aufgaben zu formulieren. Und das hat über die Zeit schon dafür gesorgt, dass ein Vertrauen entsteht und dass das Arbeiten gemeinsam immer leichter geworden ist und sich sogar der Aktionsradius erweitert hat.“

Mehr Verständnis der Mitmenschen, weniger Leidensdruck für Autist*innen

Katrin Terwiel gibt zu bedenken, dass so manche psychologische Diagnose vielleicht gar nicht zustande käme, wenn das soziale Umfeld ein anderes wäre: „Wichtig zu wissen ist, dass alle psychischen Diagnosen vom Leidensdruck kommen. Also gar nicht so sehr davon: Was ist normal und was ist nicht normal? Sondern mehr davon: Was schränkt mich ein in der Lebensführung ein – in der Welt, so wie sie ist? Und klar kann es sein, dass die Welt auch ein bisschen das Problem ist.“ Bezogen auf die Zusammenarbeit mit Autist*innen kann also der bewusste Abbau von Hürden und Diskriminierung zu einer besseren Welt führen, sagt Katrin: „Im Unternehmenskontext ist es total wichtig, eine Sprache zu finden für Diskriminierung. Eine Sprache zu finden für eben diese Hürden, die man aus einer privilegierten Situation heraus nicht sieht.“

Jobs für Autisten und Autistinnen – Recruiting als Hürde

Auf eine besonders große Hürde für Autist*innen geht Nathalie Rau, Chief Human Resources Officer von Magenta Telekom, ein: „Das klassische Recruiting-Verfahren ist nicht passend, um entsprechend auch die Skills von Autist*innen herauszufinden. Da verschenkt man einfach wahnsinnig viel Potenzial.“ Um Jobs für Autisten und Autistinnen attraktiv zu gestalten, empfiehlt Nathalie die Zusammenarbeit mit Expert*innen: „Wir wünschen uns mehr Autisten und Autistinnen. Aber wir verstehen auch, dass es eine Hürde ist, sich zu bewerben. Und deshalb haben wir eben diese tolle Kooperation mit Specialisterne, wo wir gemeinsam die passenden Rollen und die Profile heraussuchen. Specialisterne sucht dann schon Kandidat*innen und macht eine Vorselektion und begleitet die Kandidat*innen auch.“

Wie Specialisterne hilft

Auch das räumliche Umfeld des Bewerbungsprozesses ist für Autistinnen und Autisten oft ein großes Thema, weiß Nathalie: „Wir gehen meistens zu Specialisterne, weil das ein bekanntes Umfeld ist. Oder natürlich hat die Bewerberin oder der Bewerber die Wahl, zu sagen: ‚Ich will es digital machen, weil da habe ich zu Hause mein gewohntes Umfeld.‘ Das sind zum Beispiel Dinge, die wir da ganz klar in den Fokus stellen. Wir vermeiden auch diese offenen Fragen und machen schon gar keine Team-Events, sondern wir fragen mehr nach messbaren Dingen, wo man auch seine Skills besser darstellen kann. Und man ist auch sensibilisiert, dass dem einen oder anderen auch das Thema Augenkontakt oder Nähe schwerfällt.“ Ebenso wichtig ist es laut der HR-Managerin, Autist*innen eine detaillierte Rollenbeschreibung des angebotenen Jobs zu geben.

Besonders geeignete Jobs für Autisten und Autist*innen

Auf die Frage nach den typischen Jobs, welche Autisten und Autistinnen oft und gerne ausüben, entgegnet Jonas von Specialisterne: „Grundsätzlich haben wir uns auf das Thema IT Branche spezialisiert, weil hier einfach ein sehr gutes Arbeitsumfeld besteht, um sich gut entfalten zu können. Ganz explizit der Bereich Software-Testing. Jetzt kommt neu dazu der Bereich AI und Data Science, sowie Machine Learning. Programmierer*innen haben wir jetzt auch dabei, sowie den Bereich Qualitätssicherung.“ In Absprache mit Unternehmen ist Specialisterne sogar in der Lage, maßgeschneiderte Ausbildungsprogramme für Autistinnen und Autisten zu organisieren.

Immer mehr Firmen bieten Jobs für Autisten und Autistinnen an

Auf die Situation in Österreich angesprochen, analysiert Jonas: „Die österreichische Arbeitswelt ist im Bereich Inklusion noch im Aufbau. Manche Unternehmen sind schon ein bisschen weiter, andere haben noch eher ältere Strukturen. Aber wir sehen immer mehr Interesse an dem Thema und wir sehen immer mehr konkrete Aktionen.“ In einem Punkt sind sich alle Panel-Teilnehmer*innen einig: Wenn es um mehr Jobs für Autisten und Autistinnen geht, muss man einfach machen. Einfach starten und voneinander lernen. „Magenta ist ein sehr schönes Beispiel“, sagt Jonas, „da heißt es: Machen statt reden.“

Infolink:

Nachhaltigkeit bei Magenta